Die FSL auf der Demokratiekonferenz

Im Oktober 2011 lud die Stadt Leipzig zur „2. internationalen Demokratiekonferenz“ in das Gewandhaus ein.

Dort wollte man „die politikverdrossene Jugend“ mit „den Politikerinnen und Politikern“ zusammen bringen. Mussten wir uns davon angesprochen fühlen? Eigentlich nicht. Aber dabeisein — das wollten wir trotzdem auf jeden Fall! So kam es, dass Schülerinnen unserer Schule mit Jugendlichen aus ganz Europa über Bildungs- und Sozialpolitik diskutierten, dem Bundestagspräsidenten Norbert Lammert unbequeme fragen stellten und von der LVZ interviewt wurden…

Hier der Artikel der LVZ – LEIPZIG SPEZIAL, Seite 20 vom Montag, 17. Oktober 2011

„Ich hab’ nur meine Meinung“

Demokratiekonferenz am vergangenen Donnerstag und Freitag. Politiker, so wünscht sich die Schülerin [Anmerk.: Lydia Gnauk], sollten zuhören und sich nicht nur präsentieren.

Von STEPHAN BRAIG

Lydia brennt es auf den Nägeln, als im Mendelssohn-Saal des Gewandhauses die Suche nach den Themen für die
Konferenz beginnt. Die 15-Jährige möchte endlich aussprechen, was sie stört. Als die Moderatoren den Startschuss geben, springt Lydia nach vorne. Sie schnappt sich einen dicken Stift, schreibt hastig ein paar Wörter nieder, hält ihren Zettel in die Höhe und
spricht ins Mikrofon, worüber sie diskutieren will: „Ich möchte gerne das Schulsystem ändern!“ Lydia Gnauk ist eine von rund 450
Teilnehmern des zweiten Leipziger Demokratieforums. Schüler und Studenten aus ganz Deutschland, aber auch aus zahlreichen weiteren europäischen Staaten sind gekommen, um über Politik
und Jugend zu diskutieren. Auch einige Politiker haben sich angekündigt. Auf dem Forum sollen sich Jugendliche darüber auslassen und streiten können, was sie am derzeitigen politischen System besonders stört. Die genauen Themen sollen die Teilnehmer in einem offenen Verfahren erarbeiten
und dann in vielen kleinen Diskussionsgruppen debattieren. Die
Vorschläge kommen von den Jugendlichen selbst. In ihrer Hand liegt ebenso die Organisation innerhalb der Gruppen. Lydia sucht ihren Raum. Ihr Thema soll im zweiten Stock der Leipziger
Oper diskutiert werden. Die 15-Jährige ist gespannt, was passieren wird. „Erwartungen habe ich keine, ich hab’ nur meine Meinung. Aber erst mal sehen, ob überhaupt jemand kommt.“ Vergeblich hatte Lydia noch versucht, einen der Politiker in ihre Arbeitsgruppe einzuladen. „Die Politiker laufen hier doch nicht so rum, wie erwartet“, fällt ihr auf. Egal, denn mittlerweile hat sie ihren Raum gefunden. Stuhlkreis, Pinnwand und Filzstifte sind schon da, was fehlt sind Menschen. Doch nach kurzer Zeit
setzen sich die ersten Diskutanten zu ihr: Yvette, eine 15-jährige Schülerin aus Leipzig und Alexander, ein junger Lehrer vom
freien Gymnasium Borsdorf. Lydia eröffnet den Workshop: „Ich finde unser Prüfungssystem, wie es ist, blöd. Ich möchte mehr
Freiheiten haben, mir selbst aussuchen, worin ich geprüft werde.“ Die Debatte nimmt schnell Fahrt auf. Alexander findet den Ansatz spannend. „Der Fokus liegt ja viel zu sehr darauf, dass Wissen abgespult wird“, merkt er an. „Kann man das nicht anders gestalten?“ Schnell ist man sich einig, dass Freiheiten im Lehrplan gut sind, jedoch nicht jeder damit umgehen kann. Es müsse also beides geben: feste Strukturen der staatlichen Schulen und ein breites Angebot an freien Schulen. Yvette ist zudem der Meinung, dass Noten überbewertet werden. Die Diskussion läuft, Lydia sitzt mit gefalteten Händen da. Manchmal muss sie sich ein wenig nach vorne beugen, um auch alles zu verstehen, denn auf den Fluren der Oper wird es lauter. Auch in den anderen Workshops wird
eifrig diskutiert, hier über mehr direkte Demokratie, dort über krankhaftes Konsumverhalten. Außerdem schließen sich Lydias Debatte ständig neue Leute an. Ein Student aus dem Kosovo und eine Leipziger Waldorfschülerin setzen sich hinzu und werfen
ihre Erfahrungen mit ein. Die Diskussion beginnt allmählich zu schlingern. „Hey stop“, unterbricht der junge Lehrer seinen Vorredner. „Wir müssen eben einfach davon wegkommen, bloßes Wissen auswendig zu lernen. Zusammenhänge zu erkennen,
darauf kommt es an!“ Eine gemeinsame These ist gefunden. Alle atmen erstmal tief durch. Abendessen. Später spricht Bundestagspräsident Norbert Lammert vor allen Teilnehmern
im Mendelssohn-Saal. Lydia sitzt entspannt in einer der hinteren Reihen und ist zufrieden. „Die Diskussion heute war zwar nicht genau das, was ich im Kopf hatte, ich hatte gehofft, dass wir ein wenig konkreter werden, aber im Ganzen war es gar nicht so schlecht.“ Sie ist froh, nun einfach mal zuhören zu können. Lammert redet staatsmännisch, doch am Ende seines Vortrags spricht er ein paar Worte, die hängen bleiben. Der CDU-Politiker zitiert den tschechischen Politiker Vaclav Havel: „Solange wir um die Freiheit kämpfen mussten, kannten wir unser Ziel. Doch jetzt haben wir die Freiheit. Wissen wir, noch was wir wollen?“ Am nächsten Tag geht es darum, das Resultat verschiedener Workshops zu Hauptthesen zusammenzufassen. Lydia
hat sich heute für ein anderes Thema entschieden: „Ich will ja auch nicht den ganzen Tag über Schule quatschen.“ Deshalb besucht sie eine Diskussion über Drogen. Das Thema spaltet.
Drei Schülerinnen aus Österreich sehen in der Legalisierung von Cannabis überhaupt keinen Sinn. „Soll man Heroin dann etwa auch legalisieren?“ Die Debatte zieht sich, dreht sich, doch am Ende wird ein Kompromiss gefunden, dem alle zustimmen können. Außer den Schülerinnen aus Österreich, die bereits weitergezogen sind. Die Demokratiekonferenz neigt sich dem Ende zu, das zum Abschluss geplante Manifest soll nun erst im Nachgang erarbeitet werden. Auch Lydia hat langsam genug. Was bleibt? „Ich finde Demokratie total wichtig. Dass diese Konferenz jetzt aber dazu beiträgt, die Jugend und Politik wieder zusammenzubringen, glaub’ ich eher nicht.“ Für die Schülerin ist die Konferenz vielmehr ein Weckruf an die Politiker. Ein Lebenszeichen. Die Politiker
sollen zuhören, sich nicht nur präsentieren. „Ich möchte auch als junger Mensch meine Meinung sagen können und auch wählen können“, sagt sie, denn „ich weiß, was ich will!“